Loyalität in Beziehungen
Der Ungar Ivan Boszormenyi-Nagy ist mit einer der ersten Familientherapeuten, die in den 50er Jahren die Bedeutung der Familie als System erkannten. Sein Buch „Unsichtbare Bindungen – Die Dynamik familiärer Systeme“, das er zusammen mit Geraldine M. Spark schrieb und auf das sich dieses Referat stützt, gründet sich auf eine über 25jährige Arbeit mit gestörten Familien und enthält folgende zentrale These:
Die wesentliche Grundannahme von Boszormenyi-Nagy und Spark lautet, dass die Dynamik familiärer Systeme auf dem Prinzip der Loyalität beruht, und dass das Handeln sowie die Motivationen jedes Familienmitglieds davon beeinflusst werden.
Boszormenyi-Nagy und Spark verwenden Metaphern wie „Loyalitätskonten“ „Gerechtigkeitsbuchführung“ und „Schuldkonten“, um nachstehende Gegensätzlichkeit zu beschreiben: Auf der einen Seite stehen die Versagungen, die die Eltern selbst erlebten; auf der anderen Seite stehen ihre Hoffnungen auf Ausgleich dieser Versagungen, die sie auf ihre Kinder übertragen.
Zum besseren Verständnis möchte ich kurz auf die Metaphern „Konten“ und „Buchführung“ näher eingehen. „Konten“ im kaufmännischen Sinne sind vergleichbar mit einem Bankkonto. Da gibt es eine Haben- und Soll-Seite. Auf der Haben-Seite werden alle Einnahmen, z.B. das Gehalt oder das BAföG, verbucht. Auf der Soll-Seite alle Ausgaben, z.B. die Miete. Als Buchführung kann grob das Festhalten dieser Ab- und Zugänge und das Berechnen des Saldos (Differenz zwischen Haben- und Soll-Seite) verstanden werden. Boszormenyi-Nagy und Spark wenden die o.g. Metaphern auf das Prinzip der Loyalität an. Sie gehen davon aus, dass die mit der Loyalität verbundenen Erwartungen, z.B. „Verhalte Dich mir gegenüber aufmerksam!“, „Sei pünktlich!“, „Beachte meine Bedürfnisse!“ oder vieles andere mehr, ebenso „verbucht“ werden.
Allgemein kann Loyalität als Treue gegenüber einer herrschenden Gewalt, der Regierung oder dem Vorgesetzten verstanden werden, sowie als Achtung vor den Interessen anderer. Boszormenyi-Nagy und Spark betonen aber den Unterschied, der diesbezüglich zwischen gesellschaftlichen, oft zufallsbedingten Beziehungen und familiären Beziehungen besteht: Jede Beziehung kann beendet werden, aber nicht die der biologisch begründeten, die zur Familie. Selbst wenn die räumliche Nähe aufgekündigt wird, unsere Eltern und Kinder können wir uns nicht aussuchen. Dementsprechend können auch die Verpflichtungen zur Loyalität innerhalb der familiären Beziehungen nicht aufgekündigt werden. Sie werden ein Leben lang und über den Tod hinaus getragen.
Loyalitätsverpflichtungen innerhalb der Familie begründen sich auf den Pflichten, wie finanzielle und emotionale Fürsorge, die Eltern ihren Kindern gegenüber haben. Mit der Erfüllung dieser Pflichten steht das Kind in der Schuld seiner Eltern. Loyalitätskonflikte entstehen dann, wenn die Bilanz des Gebens und Nehmens unausgeglichen ist, wobei „Ziel der miteinander verquickten Erwartungen, Verpflichtungen und Loyalitätsbindungen ist (…) der unveränderte Fortbestand des Systems“ (Boszormenyi-Nagy & Spark 1995, S. 24).