Klassifikation der kindlichen Bindungsqualität
Ein Kind kann an unterschiedliche Bindungspersonen auch unterschiedlich gebunden sein, d.h. zum Beispiel eine sichere Bindung an den Vater und eine unsicher-ambivalente Bindung zur Mutter haben. Die voneinander unabhängigen Beziehungsmodelle zu seinen Hauptbindungsfiguren entwickelt das Kind durch die jeweiligen Erfahrungen mit den zurückliegenden Interaktionen. Das Kind lässt sich dann durch das bevorzugte oder dominanteste Modell leiten.
Die Bindung des Kindes wird diagnostisch gut beobachtbar in einer standardisierten Beobachtungssituation – der „Fremden Situation“. Sie beleuchtet zwar nur einen Ausschnitt von Bindung, doch lässt sich beobachten, ob Kinder Trennungsschmerz zeigen und ob sie ihn durch physische Nähe zu ihrer Bindungsperson zu überwinden suchen.
Im präverbalen Alter, sind die motorischen Fortbewegungsmöglichkeiten des Kindes soweit gereift, dass es aus eigener Kraft zu seiner Bindungsperson hinkrabbeln könnte. Dies wird zunutze gemacht, wenn Mutter und Kind in einen fremden, aber attraktiven Spielraum gebeten werden, wo die Neugier des Kleinkindes überwiegen sollte.
In einzelnen Versuchsabschnitten wird es unter Laborbedingungen zunehmend mit Stress konfrontiert, der das Bindungssystem aktivieren und die internalisierten Arbeitsmodelle beobachtbar machen soll. Dazu führen die fremde Umgebung, die Interaktion mit einer fremden Erwachsenen, die Trennung von der Mutter und das Alleingelassenwerden. Eine solche Belastungssituation erfahren Kinder häufig in ihrem Alltag.
Die Fremde Situation besteht aus acht Episoden á drei Minuten. Im Vordergrund steht die zweimalige Trennung (Aktivierung von Bindungsverhalten) und Wiedervereinigung (Aktivierung von Explorationsverhalten) von Mutter und Kind, wodurch beim einjährigen Kind Stress ausgelöst wird.
Ausgewertet werden die Reaktionen der Kinder auf die kurzen Trennungen von der Mutter und vor allem die Art und Weise, wie sie die Mutter nach der Rückkehr begrüßen. Das Verhalten des Kindes in den Episoden 5 bis 8 wird dann als Indikator für die Bindungsqualität betrachtet. Das kindliche Ausdrucks- und Verhaltensmuster in dieser Situation reflektiert, wie seine Gefühle und sein Verhalten organisiert sind.