Gestörte Persönlichkeit und kontroverse Meinungen
Ein oft vernachlässigtes Problem ist die so genannte Situations- oder Interaktionismusdebatte. Damit ist gemeint, dass sich Menschen in unterschiedlichen Situationen auch unterschiedlich verhalten können. Julius Kuhl beschreibt hier ein Beispiel, in dem eine Person in einer Kirche bedeutend weniger diskutiert, als in einer Talkshow. Obwohl man dieser Person die Eigenschaft der Redlichkeit (extra Version) zuschreibt, ist sein Verhalten unterschiedlich gewesen. (vgl. Kuhl 2001, S. 58)
Doch wie kann aus so unterschiedlichem Verhalten, in vielen unterschiedlichen Situationen, von einem stabilen Persönlichkeitsmuster ausgegangen werden? Dieses Beispiel führte er an, um einfach zu zeigen, dass es keine situationsübergreifenden Eigenschaften von Personen geben kann. Zur besseren Erklärung hat J.Kuhl noch ein tolles Beispiel: „Wenn uns eine Person als fleißig beschrieben wird, kommen uns leicht Zweifel an der Richtigkeit dieser Eigenschaftszuschreibung, wenn wir dieselbe Person beim „faulenzen“ beobachten.“ Die Skepsis bezüglich der Stabilität von Persönlichkeitseigenschaften beruht natürlich auch darauf, dass wir die angeblich stabilen Eigenschaften nicht direkt beobachten können. Die Beobachtung der stabilen Verhaltensdeterminante ist möglich, wenn z.B. eine Person selbst in Situationen, in denen die meisten Menschen faulenzen, fleißig ist. Hier könnte man erschließen, dass diese Personen eine starke Disposition zum Fleiß hat. (vgl. Kuhl 2001, S. 58)
Die bisherigen Problematiken die sich aus den alten Streitpunkten zwischen der ideographischen (Sozial- und Geisteswissenschaftler beschreiben den Einzelfall) und der nomothetischen (Naturwissenschaftler stellen generalisierend Naturgesetze auf) Auffassung ergaben, werde z.Z. Stück für Stück abgebaut, indem beiden gleicher Rang eingeräumt, und vermehrt versucht wird, so integrative Modelle für die Persönlichkeitsvorstellung zu entwickeln.
Hingegen dazu gibt es noch immer kontroverse Meinungen über Stabilität und Variabilität des Verhaltens. Im folgenden sind ein paar Aussagen hierzu aufgelistet. W. Mischel meint dazu, das das Verhalten von Menschen ist von Situation zu Situation nicht konstant und somit ist die Situation die wichtigste Determinante des Verhaltens. P.L.Wachtel stellt dieser Meinung entgegen, das das Verhalten sehr wohl auf der Basis eines zugrundeliegenden Persönlichkeitsmerkmals vorhersagbar ist. Die Menschen neigen dazu, Situationen auf besondere Weise wahrzunehmen und Menschen können mit ihrem Verhalten bestimmte Reaktionen bei ihrer Umgebung auslösen.
L.H. Epstein konnte eine deutliche Verhaltenskonsistenz nachweisen und kritisiert, daß Untersuchungen, auf die sich Mischel bezieht nur Verhaltensbruchstücke erfassen. Bandura kritisiert zudem die Erfassung durch Selbstbeurteilungfragebögen, da sich Menschen immer als konsistent erleben. Er ist der Meinung, daß Menschen ihr Verhalten nach Situation stark variieren und weißt auf die situationale Determinante des Verhaltens hin, z.B.: ob sich ein Verhalten in einer bestimmten Situation auszahlt oder auch nicht. (vgl. Schaller & Schmidtke 1983, S. 498 – 502)