Grundprobleme der Persönlichkeitsdiagnostik
Bei der Unterscheidung zwischen „gestörten“ und „normalen“ Verhaltensweisen ist es von Bedeutung, in welchen Maße die Verhaltensweisen einer Person den o.g. Störungskriterien entsprechen. Bei der Diagnostik von Persönlichkeitsstörungen treten zwei Grundprobleme auf: das Stigmatisierungsproblem und die Personenperspektivierung einer Beziehungsstörung.
Stigmatisierungsproblem
Als Stigmatisierungsproblem wird das Problem bezeichnet, dass bei der Diagnose einer Persönlichkeitsstörung nicht nur einzelne Verhaltens- und Erlebnisepisoden als „störend“ bezeichnet werden, sondern diese Diagnose immer auf die Person als Ganzes bezogen wird. Nach der Diagnose einer Persönlichkeitsstörung ändert sich für die betreffende Person das soziale Umfeld. Es findet ein Perspektivenwechsel von Persönlichkeitseigenschaften zu Persönlichkeitsstörungen statt.
Die soziale Verunsicherung erfährt gerade durch diesen Perspektivenwechsel wieder Ruhe und Stabilität. Fiedler (1997) sieht in dem, was den professionellen Helfern Entlastung und Beruhigung, Handlungsbedarf und Handlungsperspektive eröffnet, eine Gefahr für die überdauernde fixierende Merkmals- und Identitätszuschreibung. Außerdem wird der betroffenen Person bei der Hinzuziehung professioneller Hilfe die Fähigkeit zur Einsicht in die eigenen charakteristischen Bruchstellen abgesprochen. Dies führt dazu, dass die Kompetenz der betroffenen Person angezweifelt wird.
Personenperspektivierung einer Beziehungsstörung
Um Persönlichkeitsstörungen diagnostizieren zu können, die keinem Beurteilungsfehler unterliegen (Personenperspektivierung einer Interaktionsstörung), ist es wichtig, dass der Diagnostiker eine Bewertung der interaktionellen Eingebundenheit der Betroffenen vornimmt. Persönlichkeitsstörungen sollten als wiederholt beobachtbare Interaktionsbesonderheit betrachtet werden.
Bei der Diagnose einer Persönlichkeitsstörung sollte man darauf achten, dass interpersonelle, soziale, kulturelle und gesellschaftliche Kontexte, in welchen der Betroffene lebt, mitbestimmend sind. Eine weitere Möglichkeit dafür, Diagnosen ohne Gefahr der Beurteilerbias zu stellen, ist, darauf zu achten, wer Auftraggeber oder Empfänger diagnostischer/therapeutischer Leistungen ist. Da Persönlichkeitsstörungen selten von der betroffenen Person als störend, abweichend oder normverletzend empfunden werden, kann nur die Außenperspektive von Bezugspersonen oder eines professionellen Diagnostikers die gestörte Persönlichkeit als solche feststellen.
Persönlichkeitsstörungen könne Ich-synton oder Ich-dyston sein. Ich-synton: Die Betroffenen haben ein Gefühl der Gestörtheit der eigenen Person, unter dem sie leiden. Ich-dyston: Die Betroffenen erleben ihre Persönlichkeitsstörung als nicht- zusich-gehörend (wie z. B. phobische oder affektiv- depressive Störungen).